Pionierin der Galerienlandschaft
38 Jahre Galerie Silvia Steiner in Biel

1967. Die 68er-Jahre kündigen sich an. 17’088 Besucher sehen in der Kunsthalle Bern die Ausstellung «Science Fiction». Es gärt, die Künstler spüren es. In Bern wie in Biel und anderswo. Doch ausgerechnet jetzt muss Harald Szeemann, der nicht nur die Berner Kunsthalle, sondern auch die Städtische Galerie in Biel leitet, das Feld räumen – die Neumarkträume werden der Stadtbibliothek zugeschlagen. In die Bresche springt die junge Silvia Steiner. Ab Oktober 1967 ist an der Seevorstadt 57 in Biel nicht mehr nur der Schriftsteller Jörg Steiner, sondern auch die Galeristin Silvia Steiner berufstätig. Mit den hyperrealistischen Zeichnungen des Berners Alfred Hofkunst wird die «Galerie 57» eröffnet. Es folgen 1968 Werkschauen von Heinz Peter Kohler und Serge Suess, Lilly Keller, Samuel Buri, Alex Sadkowsky, Michel Engel, Claude Sandoz, Egbert Moeshnang und Friedrich Kuhn.
Silvia Steiners Galerie ist im Herbst 1967 eine der ersten ihrer Art in der Schweiz und heute die älteste, die es in unveränderter – und vor allem auch unermüdeter – Form gibt. «Ihre Art» meint dabei die professionelle Leitung und die Ausrichtung auf aktuelle, zeitgenössische Kunst. Selbst «Urgesteine» der Schweizer Galerien-landschaft wie die Stampas in Basel eröffnen erst zwei Jahre später. Silvia Steiner packt 1967 pionierhaft die Möglichkeiten, die sich Frauen zu öffnen beginnen. Dabei steht kein feministischer Ansatz im Vordergrund, den gibt es in der Schweiz 1967 noch gar nicht. Triebfeder ist das Tun, das Verwirklichen. Die örtliche Kongruenz von wohnen (im 2. Stock) und arbeiten (im Parterre) macht die Mehrfachrolle und (-belastung) als Ehefrau, Mutter und Galeristin möglich.
Dass der Sprung ins Wasser gelingt und die Kraft nie versiegt, verdankt Silvia Steiner nicht einem Erbe, sondern hartem Brot. Biel ist weder eine reiche Stadt noch gibt es Sammler zeitgenössischer Kunst in Hülle und Fülle. Der einzige Magnet im Kontext sind die Schweizerischen Plastikausstellungen, die alle fünf Jahre stattfinden. Silvia Steiner muss somit ihre Fühler weit ausstrecken, um jeden Kunstverkauf kämpfen, hartnäckig präsent sein.
Entgegen kommt Silvia Steiner, dass sich in der Schweiz in den 1970er- und 80er-Jahren ein betont nationales Kunstklima entwickelt, das nicht auf die Zentren beschränkt ist. Abseits ist nicht Offside. Das bedeutet für Silvia Steiner, dass die seit den 1968er-Jahren vervielfachte Künstlerschaft gerne in der Galerie 57 ausstellt. Und umgekehrt, dass Silvia Steiner ihr Programm nach ihren Wünschen gestalten kann. Das sind vorab Malerei und Zeichnung und dies klar auf einem nationalen Level. Skulpturenausstellungen erweisen sich, logistisch insbesondere, als eher schwierig. Anders formuliert: Silvia Steiner zeigt das, was sie als Ein-Frau-Betrieb zu bewältigen vermag, was Sinn macht und was sich in den Galerie-Wohn-Räumen adäquat zeigen lässt. Und sie hat Erfolg damit. Das Medienecho ist beträchtlich, es reicht zuweilen bis nach Basel und Zürich. Die Galerie 57, die im Zug der Zeit zur Galerie Silvia Steiner wird, gehört zu den bekanntesten Galerien ihrer Art. In der Liste der Ausstellenden figurieren viele in 1970er- und 80er-Jahren national bekannte Künstler–von Rolf Iseli über Schang Hutter und Martin Disler bis Meret Oppenheim und Hans Schärer, Wilfrid Moser, Christian Rothacher, Lis Kocher, Hugo Suter, Flavio Paolucci, Peter Stein, Gaspare Otto Melcher, Marguerite Hersberger, Alois Lichtsteiner usw. Wenige Künstlerinnen – wie andernorts zu dieser Zeit auch.
Nicht alles was glänzt ist Gold. Von den Künstlern der ersten zwanzig Jahre (1967–1987) sind heute nur noch einige im Programm. Manche sind gestorben, andere vermochten ihre besten Zeiten qualitativ nicht zu halten, einige wurden ganz einfach zu teuer oder so fordernd, dass die Zusammenarbeit für Silvia Steiner nicht mehr stimmte. Später legen ihr Exklusiv-Verträge von Künstlern mit bestimmten Galerien Steine in den Weg. Klar ist auch, dass die Galerie in den urbanen und mehr und mehr multimedialen 1990er-Jahren gegenüber dem betont jungen Mainstream etwas an den Rand gedrängt wird. Doch Silvia Steiner bleibt konsequent bei ihrer Haltung. Sie lässt sich von ihrer Liebe zur Malerei lenken. Sie sucht sich ihre Rosinen im Kuchen; die aktuelle Ausstellung zeigt es. Und jetzt, da sowohl die Malerei wie Künstler der mittleren und älteren Generation wieder mehr Beachtung finden, zahlt sich ihre Konsequenz aus. Silvia Steiner darf heute ernten, was sie in 38 Jahren gesät hat.

Annelise Zwez, Kunstkritikerin, Biel

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