Kunsthalle Palazzo
Zeitfenster

Fotos

Erinnerung und Gegenwart
Kuratorin: Silvia Steiner

Pascal Danz - Marc-Antoine Fehr - Michel Grillet
Alois Lichtsteiner - Christian Rothacher - Albrecht Schnider
Alfred Wirz - Uwe Wittwer

Presseberichte
Teil 1 / Teil 2

Leporello der Austellung (pdf)

Kunstbulletin

 

 

 

Was könnte das gemeinsame Band sein, das die acht Künstler, die Silvia Steiner für die Ausstellung «Zeitfenster» ausgewählt hat, verbindet? Was hält sie weitreichender zusammen als das Faktum, dass die Galeristin ihre Entwicklung seit den Anfängen begleitet und dass die Konzentration auf Malerei, für welche sie ein untrügliches Auge hat, deren Werk prägt?

Die Motive der ausstellenden Künstler sind Landschaft, Stillleben und Gegenstand. Erkennbar gemalt, erscheinen sie einem vertraut – und doch in einem merkwürdig gebrochenen Verhältnis zur Realität. Sie fallen auf durch die Kargheit der Darstellung und Strenge der Komposition. Sie verbinden abstrakten Ausdruck und symbolische Aussage. Die Bildräume schliessen ein Spannungsfeld zwischen nächster Nähe und unerreichbarer Ferne ein. Was präzise dargestellt ist, verweist auf etwas Dahinterliegendes, Verborgenes.

Solche Eigenheiten erinnern mich an die Malerei von Caspar David Friedrich (1774–1840), den grossen Landschaftsmaler der deutschen Romantik. Seine Bildwelt hat nichts mit der Sentimentalität und Idylle zu tun, als was Romantik immer wieder und ganz besonders in letzter Zeit gefeiert wird. Friedrich hat neue Formen der Unendlichkeitsdarstellung geschaffen in kühler, reflektierter Weise, wo jedes Ding in seiner Eigenschaftlichkeit eingefangen und gleichzeitig in das grosse Spannungsfeld zum Kosmischen eingebunden ist – vernetzt, aber in geistig visionärer Weise. Fragment und Künstlichkeit gehören zu seinen Innovationen. Der Satz des Dichters Novalis, einem Zeitgenossen Friedrichs «Wir suchen überall das Unbedingte und finden immer nur Dinge» wäre als Motto über seine Malerei zu stellen.Etwas von diesem Ansinnen, Greifbares und Unerreichbares auf einer Fläche zusammenzubringen mit den Mitteln, welche die Malerei bietet, sehe ich in den Arbeiten der acht Künstler. Es hat mich nicht erstaunt, dass mir fast alle bestätigten, Friedrich habe für sie – vor allem in den ersten Begegnungen mit Malerei – eine grosse Rolle gespielt.

Eine Nähe zur Friedrichschen Raumempfindung in den Landschaftsfragmenten von MARC-ANTOINE FEHR. Landschaften aus der Umgebung von Pressy dehnen sich zu Räumen aus, die irgendwo sein könnten – auch im eigenen Innern. Ahnungshaft ist in ihnen explosiv Dramatisches und geheimnisvoll Verborgenes angelegt: «Nachtseitiges», wie der Schriftsteller Jörg Steiner es nennt. Auch die Schneelandschaften von ALOIS LICHTSTEINER sind keine Orte für Touristen. Das weisse Feld, man ahnt einenverschneiten Abhang, kann abrupt in ein zerfetztes Flächenelement umschlagen und damit sowohl die Wahrnehmung von Natur als auch von Kunst verunsichern. Die Farbflecken, hinterwelchen sich die Gegenstände verbergen, werden zu Schriftzeichen,die auf etwas verweisen. In gleichmässig rhythmischen Anordnungen von Hügel- und Wellenformen lässt ALBRECHT SCHNIDER Landschaften entstehen, die auf Formeln und Schablonen aufgebaut scheinen. Die Überschneidungen und Überlagerungen der Konstruktionsebenen von verschiedenen Blickpunkten aus ordnen sich zu einem ornamentalen Gebilde, das auch als Modell für eine Neuvermessung der Geosphäre gelesen werden könnte. Eine Zuspitzung der Künstlichkeit in den in Grün erstrahlenden Waldrand-Landschaften von ALFRED WIRZ. Die zu einem rechten Winkel angeordneten Baumreihen bilden das Fragment eines Kastenraums, der an den Paradiesesgarten in der spätgotischen Malerei erinnert. Dicht aneinandergereiht, mit undurchdringlichem Blattwerk, scheinen sie einen Ort zu bewachen. Ist das Dunkle ein Schatten – oder zieht sich ein Riss durch die frühlingshafte Wiese?

Eine andere Art der Verunsicherung in den urbanen Situationen von PASCAL DANZ, anklingend an Vertrautes, das sich entzieht, Strukturen, die etwas schnell Erhaschtes oder Verflimmerndes andeuten: landscape in nur noch vermittelter Sicht, die zur mediumscape wird. Solches Auftauchen und Entschwinden kennzeichnen auch die Interieurs von UWE WITTWER. Stimmungsräume und angehaltene Zeitabläufe schliessen ein Spannungsfeld zwischen Erinnerung und Ahnung ein. Die dunklen Gegenstände des Stilllebens – auf dem Fragment eines Barockstilllebens aus dem 17. Jahrhunderts basierend – sind wie versengt, Glaskörper zerfliessen zu Wasser, das Fragment einer Schale leuchtet als Relikt von etwas Kostbarem auf: Welche Bilder, und was bleibt von ihnen? Auch in den neuesten Arbeiten von CHRISTIAN ROTHACHER entzieht sich der greifbare Gegenstand und wird zum Emblem. In solcher Verknappung werden die Dinge verweisend, poetisch. In ihrer Umformung durch die Malerei geben sie Rätsel auf: Das «Béret» mit Streifenfutter, einst Standeszeichen der Künstler, schaut uns, zur Maske verformt, an: Wessen Augen stecken dahinter, welcher Blick und welche Sicht? Und in radikal (romantischer) Konsequenz – gespickt mit einer Prise Humor – fängt MICHEL GRILLET in seinen 2,9 x 3,4 Zentimeter kleinen Aquarelldöschen mit den dunkelblauen Farbpigmenten den nächtlichen Kosmos ein: das Medium der Malerei schliesst Materie und Ungreifbares, das Nächste und das Fernste, zusammen.

Tina Grütter, Kunsthistorikerin

 

 

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