Bis 13. März 2016 «Jurasüdfuss» Kuratiert von Rolf Bismarck & Claudia Spinelli Künstlergespräch und Finissage Sonntag 13. März 13 Uhr
Der Jurasüdfuss markiert den Übergang vom Gebirge ins Mittelland und reicht von Genf bis Baden. Ein Amalgam aus Natur und Zivilisation, eine Idylle, die durch das Rauschen der nahe gelegenen Autobahn zur Heimat wird. Typisch Schweizerisch und deshalb eine treffliche Metapher für vielerorts gehegte Lebensgefühle. Ausgangspunkt von «Jurasüdfuss» ist die künstlerische Darstellung von Landschaft. Damit bewegen wir uns zunächst in einem fast klassischen Kontext. Beispiele konventioneller Landschaftsmalerei gibt es viele. Wir haben ein paar Bilder aus der Kunstsammlung der Stadt Baden nach Liestal mitgebracht. Das Schema ist mehr oder weniger immer dasselbe. Es gibt einen Horizont, oben Himmel, unten Bäume, Häuser, Land – eine idyllische Stimmung. Dieses Prinzip spielt auch im Video von Paul Takacs. Bloss, dass der Horizont an den oberen Bildrand gerutscht und arg in Schieflage ist. Im Fokus ist ein eigenartiger Himmelkörper – eine Rakete? – und gefilmt wurde per Handykamera aus dem Auto. Am Ton – Musik aus dem Autoradio – ist das unschwer zu erkennen. Die Landschaft – Inbegriff für Rückzug und Erholung – ist in diesem Video zu einem Schauplatz undurchsichtiger Vorgänge geworden. Das mulmige Gefühl, dass das Video erzeugt, wird man auch dann nicht los, wenn man weiss, dass es sich beim fliegenden Himmelskörper um ein Zeppelin handelt. Die kleinen Videos, die Paul Takacs dreht, stehen in enger Beziehung zu seinen Malereien. In beiden Medien ist der Wunsch, nicht nur Unterschwelliges, sondern auch Flüchtiges und Beiläufiges festzuhalten, zentral. Und damit sind wir bei Begriffen, die für unser Thema wichtig sind: Beiläufigkeit und Geschwindigkeit sind für das Landschaftserlebnis in der heutigen Zeit zu prägenden Grössen geworden. Während wir durch sie hindurch rauschen, hören wir Musik oder lesen die Zeitung. Wir erleben Landschaft immer öfters als flüchtigen Blick aus einem Zug- oder Autofenster. Die Fortbewegung spielt auch bei Raphael Loosli eine zentrale Rolle. Seine Badetuchinstallation führt zwei Kartenausschnitte zusammen. Einmal ist es der Bielersee, das andere Mal ein Küstenabschnitt in Kalifornien. Die Ähnlichkeit der beiden Planausschnitte – Bergkette im Rücken, Meer oder See vor der Nase – ist frappant und man glaubt dem in Biel aufgewachsenen Künstler aufs Wort, dass er sich in dieser heimatlichen Konstellation sofort wohl gefühlt und in Kalifornien einen herrlichen Urlaub verbracht habe. Dass trotz der Ähnlichkeit der Bilder mit unterschiedlichen Dimensionen gearbeitet wird, erkennt man möglicherweise erst auf den zweiten Blick: Aus den 30 Minuten Wegstrecke zu Fuss im ersten Bild werden im zweiten 30 Meilen Autofahrt. Dass Kristin Wirthensohn Natur und Landschaftsphänomene liebt, ist unschwer zu erkennen. Sie fängt diese mit einer einfachen, unprätentiösen Kleinbildkamera ein. Erinnerungen im Postkartenformat, die Wirthensohn – das ist der zweite Schritt – zu filmisch anmutenden Sequenzen zusammenstellt. Das Repetitive und doch Variierte schafft Rhythmus und schärft den Blick für Details. Warum ist Landschaft schön? Wirthensohns Fotokompositionen führen uns eine Schönheit vor Augen, die nicht Idylle, sondern von Künstlerhand erzeugte Spannung sein will. Diese Schönheit entfaltet selbst dann ihre Wirkung, wenn das Sujet eigentlich hässlich ist und wir nicht Natur, sondern Strasse und Gebäude sehen. Auch in den wandfüllend grossen Fotografien von Rudolf Steiner geht es um die Idee einer Schönheit, die sich vorzugsweise da zeigt, wo sie nicht erwartet wird. Wir blicken aus der Natur auf die Setzungen der Zivilisation. Verheissungsvoll glitzern die Dächer der Gewerbezonen im Sonnenlicht, elegant erhebt sich das Autobahnviadukt vor dem blattlosen Wald. Was ist schön? Unser Verhältnis zur Natur und zur Landschaft ist ganz offensichtlich ein Ambivalentes. Auf der Autobahn rollen die Lastwagen (vertontes Video von Rudolf Steiner), dass es eine wahre Freude ist und die Einfamilienhäuser im Mittelland sind unser ganzer Stolz (tonloses Video von Barbara Meyer Cesta). Während die Häuschen im nostalgisch angehauchten Film von Barbara Meyer Cesta auch vom Wunsch nach Individualität zeugen, erzählt Oliver Lang von einer fatalen Sehnsucht nach Gleichheit: Er ist den Häuschensiedlungen gefolgt, die heute wie Pilzkolonien aus dem Boden schiessen und für viele das Wohlstandsziel sind. Die Häuser stehen hier so dicht, dass von der Landschaft nichts mehr zu sehen ist. Jurasüdfuss? Der Siedlungsbrei, so wie ihn Oliver Lang uns zeigt, könnte überall sein.
Paul Takács geb. 1974, lebt und arbeitet in Baden, www.paultakacs.ch
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Medien: Bericht und Video auf regioTVplus Basellandschaftliche Zeitung 02.02.2016
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